Il Borgo di Oria
Es war einmal das nebelhafte Oria… so könnte eine moderne Geschichte beginnen, mit Damen und Kavalieren und einer Stadt antiken Glanzes. Oria ist ein bezaubernder Ort, wie aus einem Bilderbuch, märchenhaft eingehüllt in einen Hauch von Nebel. Die Geschichte dieser Stadt durchquert mehr als 3000 Jahre, ein Alter, das Oria mit Stolz trägt und die Zeichen der Zeit gerne zur Schau stellt. Die Straßen dieses Ortes sind reich an Mythen und Legenden. Das hebräische Tor scheint die Stopp-Taste im unermüdlichen Lauf der Zeit zu drücken: sobald man das hebräische Viertel betritt, führt ein ganzes Netz an Gässchen in eine magische und mittelalterliche Atmosphäre. Durchquert man seine Straßen, gelangt man zum Schloss, das das prunkvolle Hofleben aus Bällen, Festmahlen und Liebesintrigen vermuten lässt. Der religiöse Mystizismus sowie die historischen antiken Abenteuer sind Glanzpunkte in Orias Vergangenheit und machen aus ihr einen Ort, den man entdecken muss, angetrieben von einer Neugierde, die in die verstecktesten Ecken führt. Nur so gelangt man zur alten Kirche „San Crisante e Santa Daria“, die unter dem Schloss versteckt ist, und zur Krypta mit ihren Mumien, die an Filmszenen erinnern, untermalt von gregorianischen Klängen. Oria besteht aus Ereignissen und Erzählungen, denen man mit offenem Mund zuhört: Oria ist eine Stadt, die ständig überrascht, obwohl sie nicht zu den üblichen Zielen des Salento gehört, da sie kaum bekannt ist, aber auf jeden Fall sehenswert, da sie ein faszinierender Glanz umhüllt.
Geschichte
Oria ist die nördlichste Ortschaft der Region Salento und kann sich mythologischer Ursprünge rühmen. Es wird berichtet, dass 1200 v. Chr. eine kretische Gruppe an der ionischen Küste in einen schweren Sturm geriet, und – nachdem sie sicher angelandet waren – den Ort Hyria gründeten. Man kennt die Bedeutung dieses Namens nicht, sicher ist jedoch, dass er im Laufe der Zeit oftmals abgeändert wurde. Oria war Teil des römischen Reiches, nach dessen Untergang fiel der Ort in byzantinische Hände und war ebenfalls Schauplatz barbarischer Überfälle. Wie der gesamte Süden, hat auch Oria verschiedene Adelshäuser und Herrschaften durchlebt: der Ort war unter normannischer, danach unter Staufer- und schließlich unter der Anjou-Herrschaft. Der Stauferkaiser Friedrich II hat in Oria eines seiner apulischen Schlösser erbaut, das zahlreiche Touristen und Neugierige nach Oria führt. 1500 begann ein langsamer Verfall, was der Unterstützung Franz I seitens der Stadt gegen Karl V geschuldet war. Der Monarch überließ die Stadt entrüstet sich selbst und mit ihr auch ihre wichtigsten Denkmäler.
Auch durch Oria zog die Bewegung des „Risorgimento“ und die Stadt war von kontroversen Meinungen belebt, die nie einen gemeinsamen Nenner fanden. Am 21. September 1897 wurde der Ort von einem Wirbelsturm verwüstet, und damit auch viele seiner Wahrzeichen. Das Schloss fand erst 1933 zu neuem Leben, als es von den Grafen Martini-Carissimo gekauft und restauriert wurde. Während der Weltkriege musste Oria hohe Opferzahlen beklagen, da sich viele junge Männer freiwillig bei der italienischen Armee gemeldet hatten. 1950 wurde der Ort durch einen Beschluss des Präsidenten der Republik zur Stadt benannt.
Das Schloss von Oria
Das Schloss von Oria wurde auf Wunsch des Stauferkaisers Friedrich II gebaut. Es erhebt sich auf dem Berg Vallio, dem höchsten Punkt der Stadt, und scheint in ein Wald-Dickicht eingebettet zu sein, das es auf der einen Seite beschützt und auf der anderen auch hervorhebt. Es wurde zwischen 1225 und 1233 erbaut. Die Hofmauern, die es umgeben, haben die Form eines gleichschenkligen Dreiecks, dessen Winkel von den drei Türmen gekennzeichnet sind: „der quadratische Turm“, das Markenzeichen Friedrichs, der „Ritterturm“ und der „Sprungturm“, beide aus der Zeit der Anjou-Herrschaft.
Vom hebräischen Viertel in Oria gelangte man nach einem kleinen Aufstieg zum Eingangstor des Schlosses, das ursprünglich durch eine Fallbrücke geschützt war. Dieser Punkt entspricht der Westseite des Schlosses, wo sich der „Turm des Sporns“ befindet, der die Luft zerschneidet, als wäre er der Bug eines Schiffes. Der Platz, der die Mauern des Schlosses umgibt, ist der Waffenplatz, auf dem sich einst mehr als 5000 Soldaten befanden. Am Fuße des „Sprungturms“ befindet sich der Eingang zu einer kleinen Kirche, die ca. 1880 auf Wunsch des Bischofs Teodosio gebaut wurde. Früher war die Kirche von außen sichtbar und nur im Nachhinein wurde sie in die Erde gesetzt, um der ersten Kathedrale Orias Platz zu machen, von der man heute nur noch drei geschlossene Arkaden sieht. Die Kirche war den Heiligen Crisante und Daria gewidmet, Schutzpatronen der Stadt. Die Zeichen der Zeit haben deutliche Spuren im Putz und den Fresken der Kirche hinterlassen, von denen heute nur noch wenige Linien auf den Mauern erkennbar sind. 1897 zerstörte ein Wirbelsturm die mit Zinnen versehenen Mauern und den Westturm des Schlosses, die erst 1933 wieder aufgebaut wurden, als das Schloss von den Grafen Martini-Carissimo gekauft wurde. Seit 2007 ist das Schloss im Besitz der Familie Romanin-Caliandro, die eine Komplett-Restaurierung finanziert hat und somit nach drei langen Jahren der Stadt ihr Schmuckstück zurückgeben konnte.
Die Kathedrale von Oria
Am 20. Februar 1743 wurde Oria von einem verheerenden Erdbeben erschüttert, das auch die Kathedrale schwer beschädigte. Der Bischof Castrese Scaja entschied also, das unwiederbringlich zerstörte Gebäude aus dem 13. Jahrhundert abzureißen und eine neue Kathedrale bauen zu lassen, die 1756 geweiht wurde. Die Fassade der Kathedrale von Oria wurde aus dem regionalen Kalkstein errichtet, mit barocken Verzierungen und Motiven; zu ihrer Linken wurde der Uhrturm und dahinter der Glockenturm gebaut. Die Kathedrale hat eine Kuppel, die mit einem Mosaik aus Kacheln geschmückt ist, das Licht durchlässt und somit ein raffiniertes Farbenspiel schafft.
Die Kathedrale hat große Ähnlichkeit zum Petersdom im Vatikan und ist daher auch bekannt als „der Petersdom in klein“. Im Inneren, nach lateinischem Kreuz gebaut, werden wertvolle Gemälde aufbewahrt, darunter sticht das Altarbild hervor, das Mariä Himmelfahrt darstellt, das 2005 anlässlich der Bischofswahl erstellt wurde. Der mehrfarbige Marmor verleiht den geschmeidigen Formen des Hauptaltars noch mehr Weiche und Licht. Die Kathedrale ist reich verziert durch wertvolle Stuckarbeiten und Statuen namhafter Künstler, wie z. B. die der „Santi Medici“ aus venezianischer Schule. Unter der Kathedrale befindet sich eine Krypta, in der man die Körper von elf mumifizierten Klosterbrüdern bestaunen kann.
Das hebräische Viertel
Das hebräische Tor ist der Zugang zu Orias antikem hebräischen Viertel. Zwischen dem 7. und 16. Jahrhundert gab es hier eine der wichtigsten hebräischen Gemeinschaften Europas, die Philosophen, Ärzte und Dichter hervorgebracht hat, aber auch bedeutende Gelehrte der Torah und Vorläufer in dem Studium der Kabbala. Das hebräische Tor zeigt zum Platz „Shabbetai Donnolo“, der einst Zentrum des florierenden hebräischen Handels war, der wesentlich zum wirtschaftlichen Wachstum Orias beigetragen hat. Das Viertel ist von mittelalterlichem Geist durchzogen, und besteht aus einem verzwickten Labyrinth aus Gässchen und Sträßchen, in denen man heute noch kleine Stückchen hebräischen Lebens findet. Kleine Balkone und versteckte Eingänge, aber auch Häuser und Läden verleihen dieser Ecke Orias einen bezeichnenden Reiz. Die hebräische Gemeinschaft wurde im 10. Jahrhundert während der sarazenischen Überfälle dezimiert, doch im Nachhinein erstand sie wie ein Phönix aus der Asche auf und blieb bis zum 16. Jahrhundert bestehen.
Oria Fumosa
Sie stürzten immer ein: die Mauern des Stauferschlosses in Oria stürzten andauernd ein. Das Volk opferte sich jedes Mal für den Wiederaufbau auf, doch die Mauern, tückisch und verärgert, stürzten erneut ein und es gab nichts, was sie aufrechterhielt. Eines Nachts träumte ein Orakel von Blut und einem schreienden Mädchen; am nächsten Morgen lief es durch die Straßen und erzählte das, was es gesehen hatte: durch das Opfern eines Mädchens würden die Mauern stehen bleiben. Es gab nur wenige Gegenstimmen, die damit nicht einverstanden waren… das Volk hörte niemandem zu, vielleicht aus Müdigkeit, aber auch und vor allem aus Boshaftigkeit, wurde tatsächlich ein Mädchen gefunden und geopfert. Mit seinem Blut wurden die Mauern bestrichen, während die Mutter, die arme Frau, verzweifelt schrie. Nichts konnte sie beruhigen, ihr wurde das Wertvollste genommen und so verfluchte sie diesen verteufelten Ort mit dem Ausruf: „Mögest du, Oria, rauchen und qualmen, wie mein empörtes Herz brennt“. Es heißt, die Stadt Oria sei wegen dieses Fluchs ständig in einen leichten Nebel gehüllt, während sich im Ort – wie ein Klagelied – von Mund zu Mund der Satz verbreitet: „In Oria brachten sie ein Mädchen um, das so klein war, dass es in eine Tasche gepasst hätte.“
Lässt man die antiken Legenden über Oria beiseite, findet man die Stadt tatsächlich oft in leichten Nebel gehüllt, was hauptsächlich ihrer Lage zuzuschreiben ist, nämlich leicht erhöht und von einem Sumpfgebiet umgeben.
Die konfessionslosen Mumien von Oria
In der Krypta von Oria ruhen die einzigen konfessionslosen Mumien der Welt. Die Geschehnisse um diese Mumien handeln von einer Geschichte und Religion, die nur wenige kennen. Ende 1400 wüteten die Sarazenen im Salento, die Städte, die sie durchquerten wurden dezimiert und mussten sich der Grausamkeit ihrer Vergeltung und ihrer Plünderungen beugen. 1480 nahmen die Türken Otranto ein und setzten die Stadt in Brand. Aus dem ganzen Gebiet eilten Soldaten herbei, um die sarazenische Bastion zu erstürmen und sie wieder dem Christentum zuzusprechen, und auch Oria blieb nicht verschont. 1481 unterwarf sich auf dem Waffenplatz des Stauferschlosses eine Gruppe, die vom Bischof Arenis angeführt wurde, dem Schwur „Glaube oder Tod“, bevor sie sich auf den Weg nach Otranto machten. Dies war die Geburtsstunde der „Bruderschaft des Todes“. 1484 wurde unter der Kathedrale eine Krypta ausgehoben, zur Ehre der Kämpfer, die als Sieger aus Otranto zurückgekehrt waren. Entlang dieses unterirdischen Raumes wurden 22 Nischen herausgearbeitet, für die Körper der Ordensbrüder, die dies beantragten. Der Mumifizierungsprozess war sehr lang und kompliziert.
War der Ordensbruder gestorben, wurde sein Leichnam ausgeweidet und an Stelle der inneren Organe wurden Beutel eingeführt, die Salz und reines Kalkpulver enthielten, um den Körper auszutrocknen und zu desinfizieren. Um diesen Prozess zu fördern, wurde der Verstorbene dann in eine Wanne gelegt, die wiederum mit Salz und Kalk gefüllt war, wo er für 2 Jahre lang belassen wurde. Nach dem Ablauf dieser Zeit und in Anwesenheit von mindestens zwei Familienangehörigen wurde der Körper rausgeholt, gewaschen, eingesalbt, mit der persönlichen Kutte angezogen und in der Nische abgelegt. Dieser Vorgang ging nicht immer gut aus, denn bei falscher Dosierung des Kalks, wurde der Körper zersetzt. In der Krypta sind die Falltüren gut zu sehen, die zum Turm „Palomba“ führten, der bis zum 18. Jahrhundert als Beinhaus verwendet wurde und wo sich heute noch die Wannen und Werkzeuge befinden, die zur Einbalsamierung benutzt wurden. In einer der Falltüren sind noch die unversehrten Überreste des Priors der Bruderschaft und seiner Ehefrau zu finden, di bald hinter einem Glas für alle sichtbar gemacht werden könnten. Die älteste Mumie von Oria geht auf 1781 zurück, während die letzte Einbalsamierung 1856 stattfand. In der Zwischenzeit wurde die Mumifizierung verboten, doch trotz dieses Ediktes (Saint Cloud 1804) machten die Einwohner Orias damit für ca. 52 Jahre weiter.
Historischer Umzug Friedrichs II.
Jedes Jahr wird in der zweiten Augustwoche in den Straßen Orias gefeiert, mit Damen und Rittern in mittelalterlichen Kostümen, die den Stauferkaiser Friedrich II begleiten. Der Umzug bewegt sich durch die Gassen der Altstadt und kommt an der „Piazza Lorch“ an, wo der Stauferkaiser die Bekanntmachung des Turniers vorliest, das am darauffolgenden Tag stattfinden wird. Am nächsten Tag also ist die Piazza von den Farben der unterschiedlichen Stadtviertel geschmückt und die Fahnenschwinger zeigen allen ihre Bravour und Geschicklichkeit, bevor sie einen mittelalterlichen Kampf einläuten, in dem sich die vier Viertel der Stadt gegenüberstehen: Castello, Giudecca, Lama und Santo Basilio.
Die historische Darstellung belebt Oria seit mehr als 50 Jahren und erinnert an eine wahre Begebenheit. Der Stauferkaiser Friedrich II hatte Isabella de Brienne geheiratet und während er auf seine Braut wartete, ließ er sich in Oria nieder. Als Isabella und ihr Vater Giovanni de Brienne, König von Jerusalem, in Brindisi ankamen, ließ der Stauferkaiser ein Turnier ausrufen, um den Gästen zu huldigen und ihnen für die Krone von Jerusalem zu danken, die sie ihm als Geschenk mitbrachten. Das Volk nahm freudig an diesem Turnier teil, begeistert von der Tatsache, an einem so bedeutenden Ereignis teilhaben zu können.
Shabbataj Ben Abraham Donnolo
Shabbataj Donnolo war der berühmteste Sohn der hebräischen Gemeinschaft in Oria, die es dort während des Mittelalters gab. Ihm ist der Platz im Herzen des antiken hebräischen Viertels gewidmet. Shabbataj Donnolo wurde 913 n. Chr. in Oria geboren. Er war ein wissenschaftlicher Gelehrter, Experte in Pharmazie, Medizin, Astrologie, Theologie und Philosophie. Er hat mehrere Bände geschrieben, darunter auch zwei über die Studien der Kabbalah.
Die „scarpetta“ (der kleine Schuh)
Die „scarpetta“ ist eine typische Süßspeise in Oria. Es wird erzählt, sie sei gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, hinter den Mauern des Klosters, das die Benediktiner-Nonnen beherbergte. Diese Süßspeise ist in der Tat auch als „Nonnen-Schenkel“ bekannt, wegen der weißen Farbe, die an die weißen Beine der Nonnen erinnert, da sie immer von der langen Tunika bedeckt sind. Das Rezept ist geheim und es gibt nur eine einzige Konditorei, die die richtige Dosis der drei Hauptzutaten dafür kennt: Mehl, Eier und Zucker.
Die „scarpetta“ ist im Grunde genommen eine ca. 15cm große Scheibe aus einem einfachen Teig, glasiert mit einem Sirup aus Wasser und Zucker.